Hongkong - 19/03/2023 5:30 PM

Was für ein Empfang hier in Hongkong - die Stadt ist auf den ersten Eindruck sowas von modern. 

Aber ich muss erst mal los…


Ich bin absolut von den Socken, im doppelten Sinne. Die letzen zwei Tage war ich nur unterwegs. Und sprachlos bin auch, weil ich sowas noch nie in dieser Ausprägung gesehen und erlebt habe, nicht mal in New York. Ich bin fasziniert von der Ästhetik, als auch der überwältigenden Größe, der man auf Schritt und Tritt begegnet, und dass die Stadt trotz dieses vermeintlichen Widerspruchs eben Charme versprüht. Allein die allseits präsenten roten Taxis ergeben ein schönes Bild. Selbst Baustellen sind hier schön.

Britisches und asiatisches Flair stehen nebeneinander, mal duftet es westlich aus einem Pub, dann wieder fernöstlich aus dem Dim Sum Restaurant. Der Standard ist sehr hoch, alles wirkt solide und funktioniert. Es ist eine eigene Welt, die gesehen und angefasst, verdaut, bewältigt werden will. Ich will das keinesfalls glorifizieren, man kann und sollte hier einiges kritisch betrachten. Hier herrscht maximaler neoliberaler Finanzkapitalismus mit all seinen Folgen; nirgendwo auf der Welt ist die Diskrepanz zwischen Arm und Reich so ausgeprägt, ein perfektionistischer Körperkult ist augenscheinlich, von Nachhaltigkeit ist wenig zu sehen. Doch das sprengt an zwei Tagen den Rahmen… 


Ich kann und mag vorerst nur vereinzelte Impressionen zeigen. Und das auch nur nach und nach. Denn auch die Menge an Fotos, die entstanden sind, überwältigt mich im Nachhinein…  





Die Reise nach Tokyo dauert lange und ist zu meinem „Erstaunen“ äußerst zäh… Dies gibt mir jedoch Gelegenheit etwas Ruhe zu finden. Dabei wird mir bewußt, wie sehr ich in den Strudel dieser „modernen“ Megacity gezogen wurde, mich darin vergas, verlor und letztlich auch nicht mehr spürte.

Ich erinnere mich an den Epilog der letzten Schrift des sehr geschätzten Roger Willemsen „wer wir waren“ 

„[…] Wir erwachen im Goldenen Zeitalter der Ruhelosen und werden sagen konnen: Wenn wir in den Städten auf die Straße traten, hatte der Kampf um unsere Aufmerksamkeit schon eingesetzt. Die Fassaden schrien uns an, die Nackten umgarnten uns in den Auslagen, immer gab es etwas Hingeräkeltes, Schmeichlerisches, das uns besser gefallen wollte als alles sonst auf der Welt. Alles Großaufnahme, alles äußerste Steigerungsform, und wir dazwischen, die umkämpften Abgekämpften. 

Dass wir nicht mehr konnten, erliegen, dass wir unrettbar sind, in der Kapitulation leben, das sagten wir nicht, wir fühlten es bloß, und es gab Waren dagegen, kaufliche Stimmungen und Versprechen. Der Mensch für sich, er hat sein Recht verwirkt, es auch drauBen zu sein. 

Die Außenwelt betritt er nur unter Verzicht auf dieses aufgeriebene, kaum mehr souveräne Ich.

Und mehr noch: Wir leben als die neuen Menschen mitten in einer Multiplikation der Aufmerksamkeitsherde. Fahren, Essen, Mailen, Musikhoren, Schreiben, Nachrichten-Aufnehmen, all das vollzieht sich im selben Zeitabschnitt. Wir wissen es, wir hatten eine Art schlechtes Gewissen angesichts unserer Flüchtigkeit und kultivieren sie weiter, die flache Aufmerksamkeit, die jedes Detail darin weniger prägnant, auch weniger beeindruckend erscheinen lasst. 

Neu ist vielleicht nicht der Mensch, der neugieriger auf die Uhr schaut als ins Gesicht der Ehefrau. Neu ist nicht einmal jener, der auf den Bildschirm interessierter blickt als auf die Welt und von »virtueller Welt« spricht, damit sie der alt-analogen wenigstens noch semantisch gleiche. Neu ist eher jener Typus des »Second-Screen-Menschen«, dem der eine Bildschirm nicht mehr reicht, der ohne mehrere Parallelhandlungen die Welt nicht erträgt und im Blend der Informationen, Impulse und bildgeleiteten Affekte sich selbst eine Art behäbiger Mutterkonzern ist, unpraktisch konfiguriert und irgendwie fern und unerreichbar. 

Wir machten dabei nicht der Gegenwart allein den Prozess, sondern unserer eigenen Anwesenheit. Wir fanden, die Räume seien es nicht wert, dass man in ihnen verweilte, wir selbst fühlten uns nicht gemacht, hier zu sein und zu bleiben. Selbst im offentlichen Raum schwinden ja die Transit-Zonen des reinen Wartens, die Fristen der nicht-effektiven Zeiten, der drohenden Selbstversenkung werden knapp. Musik fällt ein, Bilder strömen, Informationen schwirren aus, ungerufen. Dauernd öffnen sich neue Räume und in diesen wieder neue, des Konsums, der Serviceangebote, und die Apparate emanzipierten sich: Was dazu da gewesen war, eine Sprechverbindung zu eröffnen, war plotzlich ein Spiegelkabinett, vollgestopft mit Bildern. Ganze Daten-Halden führten wir mit uns, sinnvoll-sinnlos, nützlich-nutzlos geballte Nachrichtenkomplexe, Kaufanreize, Orientierungsangebote, Wellnessofferten. 

Was ein Telefon gewesen war, wurde ein  Zentralrechner, was ein Hemd war, ein Thermometer, ein Haus wurde eine Komfort-Maschine. Alle Modifikationen mündeten in dieser großen Bequemlichkeit und Verfügbarkeit, die wir kurz genossen, dann kaum mehr empfanden und durch einen neuen Lebenszustand ersetzten: die Überforderung, die Abstumpfung, die Kapitulation vor der Entmündigung. Ja, wir brannten aus in all der Reibungslosigkeit.“