Saigon - Ho-Chi-Minh-City - 08/03/2023 9:30 AM

Wirklich warm mit dieser sagenhaften Stadt, auf die ich mich so sehr gefreut hatte, wurde ich tatsächlich erst am letzten Tag. Dafür dann allerdings doch sehr - wie es ksm, dazu später. Es mag an der Stadt selbst, ihrer Weitläufigkeit und dem nahezu nicht vorhandenen öffentlichen oder dem sonst chaotischen Verkehr liegen, sodass man nur schwer aus den beiden zentralen Districts 1 & 3 herauskommt, zumal die Hitze einem das Laufen nicht gerade attraktiv macht. Anderseits war ich zuletzt überwiegend städtisch unterwegs und wahrscheinlich nicht mehr ganz so „hungrig“ auf Urbanität. Umgekehrt hat einen die Stadt schnell. Keine 300 Meter geschlendert - in der besten Gegend, lande ich in der „Massagegasse“, der Man(n) erst mal entkommen muss.

Weil mir die Strassen mit ihren Schwärmen an Motorrädern meist unüberwindbar scheinen und ich mich offensichtlich blöd anstelle, bekomme ich Hilfe, erst von einem Motorradfahrer, der natürlich nachträglich kassiert, und dann von einer jungen Frau mit Kamera, die fortan auf mich aufpasst und begleitet - einfach so. Von der Rooftopbar - absolutes Neuland für die Studentin vom Land -, schlittern wir direkt und absolut zufällig! in die angesagteste Partymeile der Stadt - das scheint Saigon zu sein.


Seit der Wiedervereinigung Vietnams 1976 heißt die Stadt und der  Großraum mit seinen offiziell 13 Millionen Einwohnern Ho-Chi-Minh-City, „Saigon“ ist dem Zentrum vorbehalten.

Außer der Flughafen ist hier nahezu alles nach dem Nationalheiligen Ho-Chi-Minh benannt, sein Konterfei ist überall und ich habe den Eindruck, die Menschen hier mögen ihn wirklich und danken ihm seine Leistungen für dieses Land ehrlich und anhaltend - in Deutschland undenkbar. Überhaupt bin ich beeindruckt vom politischen und historischen Wissen und Bewusstsein der Leute, der jungen Menschen hier. Geschichte ist hier greifbar und nahe, und nicht nur die der Neuzeit. Um so mehr erstaunt mich, dass man sich mit Englisch überraschend selten verständigen kann, auch nicht im Hotel. In der Schule wird es 6 Jahre gelehrt, wohl nur passiv…

Ich bin sehr gespannt, wie sich dieses Land wahrnimmt und positioniert. China und die USA, die zunehmend rivalisierenden Mächte, beide hatten hier großen Impact, die einen während einer fast 1000 Jahre währenden Herrschaft, die anderen sind im desaströsen Vietnamkrieg kläglich und historisch gescheitert. 

Auch wenn die ethnische Verwandtschaft, die kulturelle Prägung, die politische Nähe als sozialistische Republik zu China naheliegend und evident sind, so besteht wohl keine enge Freundschaft zu China. Unvergessen sind die tausend Jahre Unterdrückung und noch immer gibt es territoriale „Animositäten“ um zwei Inseln, die zu Vietnam gehören, Andererseits leben hier etwa eine Million Chinesen weitgehend integriert.

Vietnam steht wirtschaftlich viel besser da als Kambodscha, hat nicht so viel finanzielle „Hilfe“ von China erhalten und ist dadurch glücklicherweise nicht so abhängig.

Schwer beeindruckend sind der Vietnamkrieg - hier übrigens Amerikanischer Krieg genannt -, dessen Ausmaß und Brutalität, sowie seine Folgen bis heute im War Remnants Museum zu sehen. Und nicht nur da. Ikonographischen Aufnahmen etlicher großen Fotografen ist hierin eine eigene Ausstellung gewidmet. Allen voran Robert Capa, mit seinem mir stets vorbildlichen Leitsatz „ist Dein Bild nicht gut, warst Du nicht nahe genug dran“ ließ in diesem Krieg, neben vielen anderen , sein Leben. Die Bilder, die Geschichten lassen mich nicht los. 

(Die dokumentarischen bzw. reproduzierenden Fotos sind ausnahmsweise, aber gezielt mit dem iPhone gemacht)


Ja, die Fotografen und die Presse hatten damals eine, in ihrer bis dahin ungewohnten und erschreckenden Nähe und Deutlichkeit, neue und damit letztlich mitentscheidende Rolle in diesem brutalen Krieg.


Andererseits ist wieder einmal lehrreich, etwas mehr Hintergrundinformation zur Entstehung der legendären Aufnahme des  „Napalm-Mädchen“ Kim Phúc von Nick Út zu haben. So real und schlimm die Situation für Kim Phúc und die anderen zivilen Opfer waren, der nachträgliche Beschnitt hat das Bild erst so gravierend gemacht und dadurch seine, gute! Wirkung gegen den Krieg entfaltet. Die umgebende Situation war viel weniger dramatisch und die Bombardierung erfolgte auf Veranlassung der südvietnamesischen Einheiten, nicht der Amerikaner selbst.


Nichtsdestotrotz sind in diesem Krieg unzählige völkerrechtswidrige Verbrechen von amerikanischen Truppen und Vietnamesen auf beiden Seiten in einem unfassbaren, schrecklichen  Ausmaß verübt worden. Napalm, Streubomben, Millionen Tonnen Dioxin in „agent orange“, in Folge dessen mehrere hunderttausend Kinder verstümmelt und entstellt zur Welt kamen (und noch kommen!), sind nur einige davon. Erst im Nachgang wird mir bewusst, dass mein erster Moped-Taxidriver,  zum Hotel in Saigon, mit seiner schlecht korrigierten Lippenspalte eines jener Opfer sein wird. Im Museum bin ich Stunden, Bilder, Eindrücke und Geschichten bleiben für immer. Leid und Unrecht, damals Vietnam, heute Ukraine, My Lai und Butscha.


Es gibt hier Nudeln, die nach Obama benannt sind. Er war der erste Präsident Amerikas, der ernsthaft an Reparationen interessiert war und sie auch umgesetzt hat. Regionen wurden von Landminen und Dioxin befreit, doch bei Weitem nicht alles. Weiterhin ist die Erde ganzer Landstriche giftig und bis in tiefe Schichten orange gefärbt. 


Und dennoch werde ich im Laufe der Tage den Eindruck gewinnen, dass sich Vietnam auf sich selbst und seinem eigenen Weg, seine eine selbstbewusste Art und Haltung besinnt, anstatt entweder einem blinden Gefolge im „kommunistischen Block“  oder einem simplen und reflexartigen Antiamerikanismus à la Wagenknecht & Co. (mit zudem verlogener Friedensmission und ideologischer Täter-Opfer-Umkehr) zu verfallen. 3 Millionen Vietnamesen sind damals dem Krieg zum Opfer gefallen, aber sie haben den Krieg gewonnen. INDEPENDENCE OR DEATH. Sie können heue eine neutrale Position einnehmen, auch darauf sind sie stolz, zurecht.


Der Wiedervereinigungspalast, ehemals Unabhängigkeitspalast und Sitz des südvietnamesischen Präsidenten, ist ein hochspannender Ort, an dem man neben den geschichtlichen Details während des Vietnamkriegs die Lebensrealität der vietnamesischen Führung und die innen-/architektonische Luft inklusive Bunker mit Krisenkommandozentrale während jener Zeit atmen kann.

Sein historisches Gewicht hat Saigon auch am letzen Tag nicht abgelegt, doch ich konnte während zweier gekonnt geführter Motorad-Touren das touristische Zentrum verlassen und nochmals viel erfahren, erleben und weitere Perspektiven einnehmen. Spätestens auf der Kreuzung, in deren Mitte sich der Mönch Thích Quảng Đức 1963 verbrennen ließ, um gegen die Unterdrückung der buddhistischen Bevölkerung unter Präsident Diem (s.o.) zu protestieren, verbinden sich viele Puzzleteile (die Meisten kennen ja das ergreifende Foto von damals (World-Press-Photo 1963), manche erinnern sich an das Plattencover des legendären Album von rage against the machine). Fünf Monate später wurde dann der President Ngô Đình Diệm Opfer eines Attentats, 3 Wochen später JFK. 

Die zweite, abendliche Tour war eigentlich eine Streetfood-Tour, war aber jenseits des Kulinarischen nachhaltig lehrreich (s. Skizze) und herrlich humorvoll :)

Dazwischen eine grandiose Akrobatik-Show in der altehrwürdigen Oper mit einer Präzision in Körperkunst, wie sie vielleicht nur Asiaten zustande bringen?!

Um einen solchen Tag und Saigon angemessen ausklingen zu lassen, gibt es hier Dachbars stimmungsvoller Hotels aus der französischen Kolonialzeit und passende Getränke en masse …

Ach, letztlich fällt der Abschied doch wieder schwer…

Those who cannot remember the past are condemned to repeat it

George Santayana