Sa Pa - 12/03/2023 8:30 PM
Ich bin nun - wieder mit dem Schlafbus - in den Norden, in das bergige Sa Pa aufgebrochen, um die dortigen Reisterrassen zu erlaufen und zu erleben. Von diesen sagenhaft schönen, nicht enden wollenden und perfekten Stufen in Grün träume ich schon lange. Ein einziges, richtig gutes Foto davon machen, dann wäre die Fotografenseele beruhigt.
Der Charme, den Sa Pa, der zentrale Ort für alle Ausflüge in die umgebende Bergregion, einst hatte, ist längst verflogen und dem Tourismus und Kommerz zum Opfer gefallen. Trekkingläden und Touristoffices reihen sich schier endlos aneinander. Ich bin mit einer Giude und fünf weiteren Reisenden unterwegs nach Ta Van, einem kleinen, ursprünglichen Dorf, in dem wir bei einer Familie übernachten werden. Es gibt fast ausschließlich Frauen, die hier führen. Die Männer seien zu schüchtern, praktizieren daher kein Englisch und arbeiten dafür auf dem Reisfeld, versorgen die Kinder. Welch überzeugende Form der Emanzipation! Da es regnet, folgen wir dem Rat unserer Guide und kaufen uns kurzerhand Gummistiefel - Läden gibt’s genug. Sie werden sich später noch sehr bewähren. Der Nebel steht tief in den Tälern, die wir nur ahnen können. Es begleiten uns nach und nach noch einige weitere junge Frauen, die beim Absteigen durch den Schlamm behilflich sind. Die Kamera bleibt im Rucksack. Manchmal kommt es halt anders. Nach fünf, sechs?, nein fünf Wochen Sonnenschein und 33 Grad haben der Regen und Nebel eine entschleunigende und wohltuende Wirkung.
Die letzen Jahre sei es wärmer geworden, gab es weniger Wasser. So wenig, dass es für den Reisbau knapp sei, zumindest in manchen Tälern. Es gäbe Pläne, auf Mais umzusteigen. Das Wasser wird auch zur Stromerzeugung in Wasserkraftanlagen gebraucht.
Y Zi, unsere Guide hat in ihrem Haus, nochmals zwei Stunden Fußmarsch von unseren Dorf entfernt, zwar Strom, braucht aber nicht viel, denn Kühlschrank und Waschmaschine hat sie nicht. Sie wäscht die Wäsche ihrer sechsköpfigen Familie von Hand, kalt, täglich, sonst häufe sich zu viel an. Sie kocht überm Feuer, „is more spicy“ lacht sie, doch auf Gas würde sie schon umsteigen, wenn es nicht so teuer wäre.
Zwischendurch hat es ein bisschen aufgerissen - beeindruckender Anblick und die Chance für ein paar Aufnahmen.
Farbenfroh säumen handgemachte Tücher, Taschen, Armbänder und die anderen minutiös gefertigten Souvenirs die schlammigen Strassen unseres Dorfes. Frauen und Kinder warten auf Käufer. Auch unsere Begleiterinnen offenbaren ihre Schmuckstücke und wohl auch den eigentlichen Grund ihrer Aufmerksamkeit. Ich halte dem herzzerreissenden Blick nicht Stand und kaufe einen wunderschönen Tischläufer, den ich wohl nie benutzen, dafür aber die nächsten Monate schleppen werde, zum hoffentlich fairen Preis.
In unserem Homestay erwarten uns üppiges typisches und leckeres Essen, eine warme Dusche und natürlich Wifi. Eine der jungen Reisenden hat nachts ihre Heizdecke genossen, berichtet sie am nächsten Morgen. Eine Diskussion über die massiv unterschiedlichen Lebenswelten, die hier aufeinanderprallen, kommt es unter den jungen Travelern nicht auf. Mich beschäftigt es um so mehr.
Am zweiten Tag - Regen und Nebel haben erst mal zugenommen - begleiten uns „neue“ Frauen mit Körben voller Handarbeiten, von denen sie hoffen, wenigstens etwas an uns verkaufen zu können. Es ist nicht nur legitim, sondern ein guter Ansatz, etwas Schönes zu schaffen und damit Geld zu verdienen. Ich will sie einerseits unterstützen, aber eben auch ehrlich sein, ich brauche nichts. Kaufen und zurücklassen ist auch keine würdige Option. Also erkläre ich, dass ich heute nichts kaufen werden, damit sie Bescheid wissen. Sie bleiben trotzdem, hoffen. Egal, was man macht, man nimmt Einfluss auf die Menschen und ihre Region, die man bereist, auf vielfältige Weise. Ich kann natürlich nicht allen Geld zukommen lassen, doch mit jenen, denen ich begegne und in Kontakt trete, möglichst fair umgehen. Manchmal ist das auch für ein Foto ok. Nachhaltig und fair zu reisen ist nicht leicht, kein Selbstläufer - zuhause bleiben aber auch keine erfüllende Option.
Auf meine Frage, wie Y Zi das Ungleichgewicht der Welten, die hier aufeinandertreffen wahrnehme, was sie dabei empfinde, antwortet Y Zi sie mit einem Lächeln und sagt, dass sie für die neuen Möglichkeiten, vor allem die der Bildung der Kinder, sehr dankbar sei. Es sei besser so. Der Tourismus bringe Wohlstand. Wir sehen tatsächlich mehrere neue Schulen im Tal, Aushebungen für eine neue Straße, die einem weiteren Dorf Anschluß an die Schule bringen wird. Bisher gehen die Kinder Kilometerweit zu Fuß durch den Bambuswald oder eben nicht. Auch Studium ist inzwischen möglich. Geheiratet wird neuerdings auch nicht mehr so früh, vieles sei im Wandel.
Sie wisse aber noch, wie man hart arbeite. Ihr kleines Land, auf dem die Familie Reis anbaue und darauf 20 Säcke im Jahr ernte, verkaufe sie niemals, sondern werde sie an ihre Kinder weitergeben.
Das Reisen, es hat erheblichen Einfluss auf die jeweilige Region, guten wie schlechten. Wenn man hier duscht, eine Heizdecke benutzt, wenn man was kauft, sollte man sich über die Wirkungen bewusst sein. Das ist nicht immer leicht.
Die Entscheidung, wie sich das Land entwickelt, muss jedoch unter seiner Souveränität bleiben.