Wirklich warm mit dieser sagenhaften Stadt, auf die ich mich so sehr gefreut hatte, wurde ich tatsächlich erst am letzten Tag. Dafür dann allerdings doch sehr - wie es ksm, dazu später. Es mag an der Stadt selbst, ihrer Weitläufigkeit und dem nahezu nicht vorhandenen öffentlichen oder dem sonst chaotischen Verkehr liegen, sodass man nur schwer aus den beiden zentralen Districts 1 & 3 herauskommt, zumal die Hitze einem das Laufen nicht gerade attraktiv macht. Anderseits war ich zuletzt überwiegend städtisch unterwegs und wahrscheinlich nicht mehr ganz so „hungrig“ auf Urbanität. Umgekehrt hat einen die Stadt schnell. Keine 300 Meter geschlendert - in der besten Gegend, lande ich in der „Massagegasse“, der Man(n) erst mal entkommen muss.
Weil mir die Strassen mit ihren Schwärmen an Motorrädern meist unüberwindbar scheinen und ich mich offensichtlich blöd anstelle, bekomme ich Hilfe, erst von einem Motorradfahrer, der natürlich nachträglich kassiert, und dann von einer jungen Frau mit Kamera, die fortan auf mich aufpasst und begleitet - einfach so. Von der Rooftopbar - absolutes Neuland für die Studentin vom Land -, schlittern wir direkt und absolut zufällig! in die angesagteste Partymeile der Stadt - das scheint Saigon zu sein.
Seit der Wiedervereinigung Vietnams 1976 heißt die Stadt und der Großraum mit seinen offiziell 13 Millionen Einwohnern Ho-Chi-Minh-City, „Saigon“ ist dem Zentrum vorbehalten.
Außer der Flughafen ist hier nahezu alles nach dem Nationalheiligen Ho-Chi-Minh benannt, sein Konterfei ist überall und ich habe den Eindruck, die Menschen hier mögen ihn wirklich und danken ihm seine Leistungen für dieses Land ehrlich und anhaltend - in Deutschland undenkbar. Überhaupt bin ich beeindruckt vom politischen und historischen Wissen und Bewusstsein der Leute, der jungen Menschen hier. Geschichte ist hier greifbar und nahe, und nicht nur die der Neuzeit. Um so mehr erstaunt mich, dass man sich mit Englisch überraschend selten verständigen kann, auch nicht im Hotel. In der Schule wird es 6 Jahre gelehrt, wohl nur passiv…
Ich bin sehr gespannt, wie sich dieses Land wahrnimmt und positioniert. China und die USA, die zunehmend rivalisierenden Mächte, beide hatten hier großen Impact, die einen während einer fast 1000 Jahre währenden Herrschaft, die anderen sind im desaströsen Vietnamkrieg kläglich und historisch gescheitert.
Auch wenn die ethnische Verwandtschaft, die kulturelle Prägung, die politische Nähe als sozialistische Republik zu China naheliegend und evident sind, so besteht wohl keine enge Freundschaft zu China. Unvergessen sind die tausend Jahre Unterdrückung und noch immer gibt es territoriale „Animositäten“ um zwei Inseln, die zu Vietnam gehören, Andererseits leben hier etwa eine Million Chinesen weitgehend integriert.
Vietnam steht wirtschaftlich viel besser da als Kambodscha, hat nicht so viel finanzielle „Hilfe“ von China erhalten und ist dadurch glücklicherweise nicht so abhängig.
Schwer beeindruckend sind der Vietnamkrieg - hier übrigens Amerikanischer Krieg genannt -, dessen Ausmaß und Brutalität, sowie seine Folgen bis heute im War Remnants Museum zu sehen. Und nicht nur da. Ikonographischen Aufnahmen etlicher großen Fotografen ist hierin eine eigene Ausstellung gewidmet. Allen voran Robert Capa, mit seinem mir stets vorbildlichen Leitsatz „ist Dein Bild nicht gut, warst Du nicht nahe genug dran“ ließ in diesem Krieg, neben vielen anderen , sein Leben. Die Bilder, die Geschichten lassen mich nicht los.
(Die dokumentarischen bzw. reproduzierenden Fotos sind ausnahmsweise, aber gezielt mit dem iPhone gemacht)
Ja, die Fotografen und die Presse hatten damals eine, in ihrer bis dahin ungewohnten und erschreckenden Nähe und Deutlichkeit, neue und damit letztlich mitentscheidende Rolle in diesem brutalen Krieg.
Andererseits ist wieder einmal lehrreich, etwas mehr Hintergrundinformation zur Entstehung der legendären Aufnahme des „Napalm-Mädchen“ Kim Phúc von Nick Út zu haben. So real und schlimm die Situation für Kim Phúc und die anderen zivilen Opfer waren, der nachträgliche Beschnitt hat das Bild erst so gravierend gemacht und dadurch seine, gute! Wirkung gegen den Krieg entfaltet. Die umgebende Situation war viel weniger dramatisch und die Bombardierung erfolgte auf Veranlassung der südvietnamesischen Einheiten, nicht der Amerikaner selbst.
Nichtsdestotrotz sind in diesem Krieg unzählige völkerrechtswidrige Verbrechen von amerikanischen Truppen und Vietnamesen auf beiden Seiten in einem unfassbaren, schrecklichen Ausmaß verübt worden. Napalm, Streubomben, Millionen Tonnen Dioxin in „agent orange“, in Folge dessen mehrere hunderttausend Kinder verstümmelt und entstellt zur Welt kamen (und noch kommen!), sind nur einige davon. Erst im Nachgang wird mir bewusst, dass mein erster Moped-Taxidriver, zum Hotel in Saigon, mit seiner schlecht korrigierten Lippenspalte eines jener Opfer sein wird. Im Museum bin ich Stunden, Bilder, Eindrücke und Geschichten bleiben für immer. Leid und Unrecht, damals Vietnam, heute Ukraine, My Lai und Butscha.
Es gibt hier Nudeln, die nach Obama benannt sind. Er war der erste Präsident Amerikas, der ernsthaft an Reparationen interessiert war und sie auch umgesetzt hat. Regionen wurden von Landminen und Dioxin befreit, doch bei Weitem nicht alles. Weiterhin ist die Erde ganzer Landstriche giftig und bis in tiefe Schichten orange gefärbt.
Und dennoch werde ich im Laufe der Tage den Eindruck gewinnen, dass sich Vietnam auf sich selbst und seinem eigenen Weg, seine eine selbstbewusste Art und Haltung besinnt, anstatt entweder einem blinden Gefolge im „kommunistischen Block“ oder einem simplen und reflexartigen Antiamerikanismus à la Wagenknecht & Co. (mit zudem verlogener Friedensmission und ideologischer Täter-Opfer-Umkehr) zu verfallen. 3 Millionen Vietnamesen sind damals dem Krieg zum Opfer gefallen, aber sie haben den Krieg gewonnen. INDEPENDENCE OR DEATH. Sie können heue eine neutrale Position einnehmen, auch darauf sind sie stolz, zurecht.
Der Wiedervereinigungspalast, ehemals Unabhängigkeitspalast und Sitz des südvietnamesischen Präsidenten, ist ein hochspannender Ort, an dem man neben den geschichtlichen Details während des Vietnamkriegs die Lebensrealität der vietnamesischen Führung und die innen-/architektonische Luft inklusive Bunker mit Krisenkommandozentrale während jener Zeit atmen kann.
Sein historisches Gewicht hat Saigon auch am letzen Tag nicht abgelegt, doch ich konnte während zweier gekonnt geführter Motorad-Touren das touristische Zentrum verlassen und nochmals viel erfahren, erleben und weitere Perspektiven einnehmen. Spätestens auf der Kreuzung, in deren Mitte sich der Mönch Thích Quảng Đức 1963 verbrennen ließ, um gegen die Unterdrückung der buddhistischen Bevölkerung unter Präsident Diem (s.o.) zu protestieren, verbinden sich viele Puzzleteile (die Meisten kennen ja das ergreifende Foto von damals (World-Press-Photo 1963), manche erinnern sich an das Plattencover des legendären Album von rage against the machine). Fünf Monate später wurde dann der PresidentNgô Đình DiệmOpfer eines Attentats, 3 Wochen später JFK.
Die zweite, abendliche Tour war eigentlich eine Streetfood-Tour, war aber jenseits des Kulinarischen nachhaltig lehrreich (s. Skizze) und herrlich humorvoll :)
Dazwischen eine grandiose Akrobatik-Show in der altehrwürdigen Oper mit einer Präzision in Körperkunst, wie sie vielleicht nur Asiaten zustande bringen?!
Um einen solchen Tag und Saigon angemessen ausklingen zu lassen, gibt es hier Dachbars stimmungsvoller Hotels aus der französischen Kolonialzeit und passende Getränke en masse …
Ach, letztlich fällt der Abschied doch wieder schwer…
Those who cannot remember the past are condemned to repeat it
George Santayana
Hội An - 10/03/2023 8:00 AM
Erst mal schwimmen…
Diese Tage am Meer, in dem Dörfchen Cám An, unweit dem wunderschönen, pittoresken, doch völlig überlaufenen Hội An haben so gut getan. Die vielen, teils sehr aufwühlenden und berührenden Eindrucke der letzten Orte haben nach einer Pause, Urlaub vom Reisen verlangt. Meine strandnahe Unterkunft mit tropischem Garten, vor acht Jahren liebevoll aufgebaut und betrieben von zwei herzlichen Deutschen, wobei sie, Kim vietnamesischen Ursprungs ist, war hierfür perfekt, sehr erholsam und wohltuend. Morgens ein delikates Müsli, das schönste, das ich je hatte! Und selbst am Wasser wurde man mit köstlichem Essen vom naheliegenden, kleinen Restaurant versorgt.
„Das anmutige, historische Hoi An ist Vietnams stimmungsvollste und entzückendste Stadt“, so steht’s im Lonely Planet. Sie sind noch da, die bestens erhalten, die wunderschönen japanischen Kaufmannshäuser, kunstvollen chinesischen Gildenhäuser, Ahnenhallen und alten Teelager. Unfassbar viele Touristen und fast genauso viele, meist sehr geschmackvolle Geschäfte mit schönen Dingen sind allerdings auch da und dennoch herrscht eine schöne, gelassene und friedvolle Stimmung. So macht das Erkunden und Schlendern eine Weile Spaß, doch nach einem halben Tag sind es dann doch zu viele Touristen und ich setze mich erleichtert auf mein Rad.
Am letzten Tag bevorzuge ich nochmals einen ausgiebigen Tag an meinem schönen Strand bevor es weiter in den Norden geht.
Kurz nach Verlassen meines Dorfes beginnt eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von Hotelanlagen, Resorts und Bungalows, wovon die meisten noch nicht fertig sind. Ich denke an Benidorm, die Touristenhochburg der 70er/80er Jahre an der Costa Blanca. Das war ursprünglich auch ein Fischerdorf - da käme heute keiner mehr drauf, der es nicht wüßte…
later…
Sa Pa - 12/03/2023 8:30 PM
Ich bin nun - wieder mit dem Schlafbus - in den Norden, in das bergige Sa Pa aufgebrochen, um die dortigen Reisterrassen zu erlaufen und zu erleben. Von diesen sagenhaft schönen, nicht enden wollenden und perfekten Stufen in Grün träume ich schon lange. Ein einziges, richtig gutes Foto davon machen, dann wäre die Fotografenseele beruhigt.
Der Charme, den Sa Pa, der zentrale Ort für alle Ausflüge in die umgebende Bergregion, einst hatte, ist längst verflogen und dem Tourismus und Kommerz zum Opfer gefallen. Trekkingläden und Touristoffices reihen sich schier endlos aneinander. Ich bin mit einer Giude und fünf weiteren Reisenden unterwegs nach Ta Van, einem kleinen, ursprünglichen Dorf, in dem wir bei einer Familie übernachten werden. Es gibt fast ausschließlich Frauen, die hier führen. Die Männer seien zu schüchtern, praktizieren daher kein Englisch und arbeiten dafür auf dem Reisfeld, versorgen die Kinder. Welch überzeugende Form der Emanzipation! Da es regnet, folgen wir dem Rat unserer Guide und kaufen uns kurzerhand Gummistiefel - Läden gibt’s genug. Sie werden sich später noch sehr bewähren. Der Nebel steht tief in den Tälern, die wir nur ahnen können. Es begleiten uns nach und nach noch einige weitere junge Frauen, die beim Absteigen durch den Schlamm behilflich sind. Die Kamera bleibt im Rucksack. Manchmal kommt es halt anders. Nach fünf, sechs?, nein fünf Wochen Sonnenschein und 33 Grad haben der Regen und Nebel eine entschleunigende und wohltuende Wirkung.
Die letzen Jahre sei es wärmer geworden, gab es weniger Wasser. So wenig, dass es für den Reisbau knapp sei, zumindest in manchen Tälern. Es gäbe Pläne, auf Mais umzusteigen. Das Wasser wird auch zur Stromerzeugung in Wasserkraftanlagen gebraucht.
Y Zi, unsere Guide hat in ihrem Haus, nochmals zwei Stunden Fußmarsch von unseren Dorf entfernt, zwar Strom, braucht aber nicht viel, denn Kühlschrank und Waschmaschine hat sie nicht. Sie wäscht die Wäsche ihrer sechsköpfigen Familie von Hand, kalt, täglich, sonst häufe sich zu viel an. Sie kocht überm Feuer, „is more spicy“ lacht sie, doch auf Gas würde sie schon umsteigen, wenn es nicht so teuer wäre.
Zwischendurch hat es ein bisschen aufgerissen - beeindruckender Anblick und die Chance für ein paar Aufnahmen.
Farbenfroh säumen handgemachte Tücher, Taschen, Armbänder und die anderen minutiös gefertigten Souvenirs die schlammigen Strassen unseres Dorfes. Frauen und Kinder warten auf Käufer. Auch unsere Begleiterinnen offenbaren ihre Schmuckstücke und wohl auch den eigentlichen Grund ihrer Aufmerksamkeit. Ich halte dem herzzerreissenden Blick nicht Stand und kaufe einen wunderschönen Tischläufer, den ich wohl nie benutzen, dafür aber die nächsten Monate schleppen werde, zum hoffentlich fairen Preis.
In unserem Homestay erwarten uns üppiges typisches und leckeres Essen, eine warme Dusche und natürlich Wifi. Eine der jungen Reisenden hat nachts ihre Heizdecke genossen, berichtet sie am nächsten Morgen. Eine Diskussion über die massiv unterschiedlichen Lebenswelten, die hier aufeinanderprallen, kommt es unter den jungen Travelern nicht auf. Mich beschäftigt es um so mehr.
Am zweiten Tag - Regen und Nebel haben erst mal zugenommen - begleiten uns „neue“ Frauen mit Körben voller Handarbeiten, von denen sie hoffen, wenigstens etwas an uns verkaufen zu können. Es ist nicht nur legitim, sondern ein guter Ansatz, etwas Schönes zu schaffen und damit Geld zu verdienen. Ich will sie einerseits unterstützen, aber eben auch ehrlich sein, ich brauche nichts. Kaufen und zurücklassen ist auch keine würdige Option. Also erkläre ich, dass ich heute nichts kaufen werden, damit sie Bescheid wissen. Sie bleiben trotzdem, hoffen. Egal, was man macht, man nimmt Einfluss auf die Menschen und ihre Region, die man bereist, auf vielfältige Weise. Ich kann natürlich nicht allen Geld zukommen lassen, doch mit jenen, denen ich begegne und in Kontakt trete, möglichst fair umgehen. Manchmal ist das auch für ein Foto ok. Nachhaltig und fair zu reisen ist nicht leicht, kein Selbstläufer - zuhause bleiben aber auch keine erfüllende Option.
Auf meine Frage, wie Y Zi das Ungleichgewicht der Welten, die hier aufeinandertreffen wahrnehme, was sie dabei empfinde, antwortet Y Zi sie mit einem Lächeln und sagt, dass sie für die neuen Möglichkeiten, vor allem die der Bildung der Kinder, sehr dankbar sei. Es sei besser so. Der Tourismus bringe Wohlstand. Wir sehen tatsächlich mehrere neue Schulen im Tal, Aushebungen für eine neue Straße, die einem weiteren Dorf Anschluß an die Schule bringen wird. Bisher gehen die Kinder Kilometerweit zu Fuß durch den Bambuswald oder eben nicht. Auch Studium ist inzwischen möglich. Geheiratet wird neuerdings auch nicht mehr so früh, vieles sei im Wandel.
Sie wisse aber noch, wie man hart arbeite. Ihr kleines Land, auf dem die Familie Reis anbaue und darauf 20 Säcke im Jahr ernte, verkaufe sie niemals, sondern werde sie an ihre Kinder weitergeben.
Das Reisen, es hat erheblichen Einfluss auf die jeweilige Region, guten wie schlechten. Wenn man hier duscht, eine Heizdecke benutzt, wenn man was kauft, sollte man sich über die Wirkungen bewusst sein. Das ist nicht immer leicht.
Die Entscheidung, wie sich das Land entwickelt, muss jedoch unter seiner Souveränität bleiben.